Ein Interview mit  Marten Freund von Schlemmer-Markt Freund Kiel

Kiel, Schleswig Holstein. Marten Freund läuft in zügigen Schritten durch die Gänge seines Supermarktes. Die Geschwindigkeit seiner Schritte lässt seinen weißen Kittel leicht hinter ihm her flattern so dass beinahe die Assoziation an ein Cape geweckt wird. Freundlich und aufgeschlossen grüßt er alle Personen, denen er auf seinem morgendlichen Weg durch die Regalreihen begegnet. Er lächelt seinen Mitarbeitern zu, schüttelt Hände von Stammkunden und wechselt gerne hier und dort ein freundliches Wort mit Ihnen. Er kennt sein Geschäft, den Schlemmer-Markt Freund, mitsamt seinen Menschen und Produkten nur zu gut und ist stetig präsent.
Wir gehen gemeinsam die Treppe hinauf zu seinem Büro. Vorbei an persönlich eingerichteten Schreibtischen und freundlich grüßenden Mitarbeitern, dort wird uns auch seine Frau Imke Freund vorgestellt. Sie ist bereits seit 1984 fest an seiner Seite. Ehepaar Freund sind eindeutig Familienmenschen. Ihr großes, gemeinsames Büro ist verziert mit vielen Portraits der beiden Töchter und mit Urlaubsbildern der gesamten Familie. Marten Freund bringt uns Kaffee und wir kommen ins Gespräch.

 

Wie unterscheidet sich Schlemmer-Markt Freund von anderen Lebensmittelgeschäften in Kiel?

„In unserem Unternehmen sind vor allem die Mitarbeiter das Wichtigste – und nicht wir, da die Kunden in erster Linie mit den Beschäftigten täglich zu tun haben. Sie sollen ein familiäres Gefühl rüber bringen. Wenn die Kunden hereinkommen, sollen sie vermittelt bekommen: Mensch, das ist ja alles sehr nett und freundlich hier! Dies ist natürlich vor allem von Bedeutung in Abgrenzung zu den ganzen Discountern. Unser Anspruch ist, dass wir besser sein müssen als die Konkurrenz. Und genau das sollen meine Mitarbeiter versuchen zu transportieren.
Wir sind ein Familienbetrieb durch und durch. So war es auch bereits bei meinen Eltern. Sie führten die Geschäfte ebenfalls gemeinsam. Meine Frau macht das ganze Büro hier oben und ich bin eher für die Ware und den Laden zuständig. So habe ich den Kopf frei und muss mich nicht um die ganzen Rechnungen kümmern (lacht). Als die Kinder klein waren arbeitete meine Frau nur halbtags, um genügend Zeit für die Kinder zu haben. Mittlerweile sind die beiden Mädchen älter und meine Frau stieg nach und nach immer mehr ein. So sind wir beiden nun ein gut eingespieltes Team.“

 

Warum werden so viele noch genusstaugliche Lebensmittel in den Märkten weggeschmissen?

„Das Hauptproblem ist natürlich der Überfluss an Lebensmittelgeschäften. Wir sind seit über 25 Jahren in Kiel ansässig und seitdem sind über 30 Supermärkte dazugekommen. Die Einwohnerzahl ist jedoch fast gleich geblieben. Das heißt im übertragenen Sinne: von der großen Torte aus Kunden, bekommt jeder Supermarkt nur noch ein kleines Stück ab.
Ein weiteres Problem des großen Wegschmeißens stellt die stetige Verfügbarkeit von Produkten aller Art und die günstigeren Preise von der Konkurrenz dar. Ein einfaches Beispiel: die Kunden möchten jeden Tag frischen Blumenkohl haben und vor allem auch noch spät abends. Wenn ich den nicht mehr habe, gehen sie zu einem anderen Markt. Das heißt jedes Geschäft muss alles zu jedem Zeitpunkt anbieten können! Früher musste man teils noch in kleineren Märkten oder in Discountern recht früh Obst und Gemüse kaufen, denn abends war die Ware oft schon vergriffen. Diese Zeiten sind schon lange vorbei. Hier sehe ich daher das Hauptproblem. Wir müssen in Deutschland unglaublich viel vorhalten, um den Wettbewerb zu erfüllen und genau dadurch bleibt natürlich auch mehr übrig und es muss auch besonders viel weggeworfen werden.
Die goldene Kunst der Mitarbeiter im Schlemmermarkt ist es, eigenverantwortlich die Produkte zu bestellen. So hat jeder Produktbereich den Überblick und kann die Bestelllisten an den Kundenbedürfnissen gezielt anpassen. Bei den Mitarbeitern gilt daher das Motto „Was du selber nicht mehr kaufst, das solltest du entsorgen!“ Hat zum Beispiel eine Honigmelone eine Druckstelle – sie ist wie alle anderen Produkte Teil einer Verwertungskette, das heißt ihr Mehrwert wird genutzt, indem sie für einen Obstsalat oder für das Catering oder die Rohkostbar zweitverwertet wird.“

 

Gibt es Zahlen bezüglich der Abfallmenge?

„Die größte Abfallmenge entsteht im Bereich der Obst-, Gemüse- und Fleischprodukte. Ich würde mal sagen im Jahr kostet uns der Verlust an Lebensmitteln circa 100.000 Euro. Discounter haben einen deutlich geringeren Verlust, da sie weniger außergewöhnliche Produkte in ihrem Sortiment haben und die Produkte somit in einer größeren Menge auch regelmäßig gekauft werden.“

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Warum müssen täglich so viele noch genießbare Lebensmittel entsorgt werden?

„Zum einen liegt das an dem bereits genannten Grundproblem, dem Überfluss an Lebensmittelgeschäften allgemein, da durch die große Konkurrenz die Produktpalette stetig ausgeweitet werden muss und diese zu jeder Tageszeit zur Verfügung stehen soll. Zum anderen liegt es auch daran, dass viele Filialisten keine eigene Küche haben und somit nicht mehr verkaufbare Ware direkt entsorgen müssen oder an die Kieler Tafel weiter geben. Ein weiteres großes Problem stellen die großen Verpackungen dar, die mit günstigen Preisen die Kunden locken. Letztendlich wird auch hier viel in den Haushalten entsorgt, da die Mengen einfach zu groß sind und entsprechend nicht schnell genug verzehrt werden oder allgemein falsch gelagert werden. “

 

Sind Geschäftsleitern die Hände gebunden? Könnten sie nicht alles an Tafeln und Bedürftige abgeben, was über ist?

„Naja also wir haben ja zum Glück noch die Möglichkeit sehr vieles in der hauseigenen Küche zu verwerten, wie beispielsweise Obst und Gemüse, das leichte Stellen aufweist jedoch noch sehr gut verwertbar ist.  Im ersten Schritt versuchen wir somit alles weiter zu verwerten, um es nicht wegschmeißen zu müssen. Im zweiten Schritt haben wir das Gutschrift-Prinzip mit den Lieferanten. Das bedeutet bei Ablauf der Ware erfolgt eine kostenlose Rücknahme beziehungsweise eine Erstattung des Kaufpreises. Somit können die Produkte in einer sogenannten „Grabbelkiste“ in der Nähe der Kasse für günstigere Preise angeboten werden. Im dritten Schritt erfolgt die Zusammenarbeit mit der Kieler Tafel. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit dieser zusammen. Drei Mal die Woche kommen sie mit einem Lieferwagen vorbei und holen alles noch verwertbare bei uns ab, um es zu sortieren und Bedürftigen in und um Kiel unentgeltlich weiterzugeben. Mit Foodsharing besteht derzeit keine Kooperation.“

 

Bieten Sie nachhaltig produzierte und regionale Produkte an?

„Der Konsum von nachhaltigen Produkten wird von den Käufern bestimmt. Es können Produkte angeboten werden, doch ist der Kauf von dem Bewusstsein der Konsumenten über die Nachhaltigkeit abhängig. Die Aufklärungsarbeit liegt nicht beim Einzelhandel, sondern zum größten Teil bei den Medien und der Presse, die dieses Thema und seine Relevanz in die Öffentlichkeit tragen können. Ich selber möchte meine Kunden nicht erziehen oder sogar belehren.“

 

Legen Sie besonders großen Wert auf Bio- und Gütesiegel? Ist dies eher eine Marketingstrategie oder doch eine von Ihnen aus Überzeugung angebotene Produktpalette?  

„Ja, wir legen einen großen Wert auf Bio- und Gütesiegel und beziehen auch regionale Produkte in unser Sortiment mit ein. Alles was ich aus der Region bekommen kann und wo ich hinter stehe nehme ich auch mit auf. Es gibt noch keine reine Bio-Abteilung, es ist jedoch angedacht. Momentan ist in jedem Warenbereich ein entsprechendes Biosortiment enthalten. Über den Daumen gepeilt beträgt der jährliche Umsatz mit Bio-Produkten in etwa 5%. Jedoch können derzeit keine zertifizierten Bioprodukte aus eigener Herstellung angeboten werden, da beispielsweise bei „Bio-Hackfleisch“ ein eigenes Kühlhaus vorhanden sein müsste und auch ein „Hackwolf“ nur für Biohackfleisch verwendet werden dürfte. Dies ist bei uns aus platztechnischen und Kosten-Gründen nicht möglich. Daher kann in der Werbung und im Geschäft selbst nur Hackfleisch aus „nachhaltiger Aufzucht“ angeboten werden, da sonst eine Abmahnung wegen Verbrauchertäuschung droht.“

Was passiert mit Produkten in ihrem Geschäft, die demnächst „ablaufen“? Bedeutet das Mindesthaltbarkeitsdatum gleich Verbrauchsdatum?

„Zunächst einmal muss man unterscheiden zwischen den Bezeichnungen:„Zu verwenden bis …“  beispielsweise bei einem Frischeprodukt wie Lachs und „Mindestens haltbar bis …“. Bei Ersterem ist kein Verkauf mehr nach Ablauf dieses Datums an Kunden möglich, ebenso ist auch keine Weitergabe an die Tafel erlaubt. Bei dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist es so, dass es eine Garantie des Herstellers ist, so dass bis Ablauf des Datums ein Verzehr des Produktes bedenkenlos erfolgen kann. Für einen Verzehr ohne gesundheitliches Risiko nach der Überschreitung des MHD besteht also keine Haftung seitens des Herstellers mehr. Der Verkauf ist erlaubt, ein Hinweis an die Konsumenten muss jedoch vorhanden sein. Bei uns vorne im Kassenbereich haben wir einen Einkaufswagen mit solchen Produkten, die jeweils für einen günstigen Preis mitgenommen werden können.“

 

Was halten Sie vom „Containern“? Verschließen Sie ihre Mülltonnen und Container? Haben sie schon mal jemanden erwischt? Wie verfahren sie mit diesen Personen?

„Ich hab hier mal ein Mädchen erwischt, die wühlte jeden Abend in den Mülltonnen herum. Sie kam immer abends vorbei mit einer Grubenlampe am Kopf. Sie wühlte in den Tonnen und hat immer alles wieder sauber hinterlassen. Ich bot ihr 50 Euro an, aber sie wollte das Geld nicht annehmen. Es war ein hübsches Mädchen, sie sah ein wenig krank aus. Vielleicht hat sie sich durch verderbliche Lebensmittel Krankheiten geholt. Im Sommer sind in den Tonnen Maden drin. Ich habe ihr angeboten, Lebensmittel zu geben, und habe sie direkt gefragt, was sie denn gebrauchen könne – sie antwortete, dass es ihr nicht darum gehe, dass sie etwas zum Essen brauche, sondern um das große Wegschmeißen. Sie hatte immer Fahrradtaschen voll von Essen. Das konnte sie alleine gar nicht alles essen, was sie da zusammen gesammelt hat. Leider habe ich sie seit Monaten nicht mehr gesehen – ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Generell versuche ich herauszufinden, was diese Personen dazu bewegt und suche das Gespräch mit ihnen. Meine Mülltonnen schließe ich trotzdem nicht ein.“

 

Ließe sich das Angebot an die Nachfrage anpassen ohne ein Überangebot und eine riesen Produktpalette anbieten zu müssen?

„In erster Linie entscheidet der Verbraucher selbst – und das nicht nur über die Nachfrage sondern eben auch über das Angebot!
Bei uns im Laden sind unterschiedliche Bereiche vorhanden für die jeweils die Mitarbeiter selbständig verantwortlich sind. Dies bedeutet: sie entscheiden was und wieviel nachbestellt werden muss, da sie unmittelbar an dem Konsumverhalten der Kunden sehen welche Produkte nachgefragt werden. Sie führen die Bestelllisten und vermeiden so, dass zu viel geliefert wird, da sie den Überblick und das Gespür für die Mengen besitzen. Da wir als Selbständige so in der Lage sind das Sortiment selbst zu bestimmen, können wir gezielt ein Überangebot von Produkten und somit der Lebensmittelverschwendung entgegen wirken. Ganz anders die Filialisten – sie sind an feste Sortimentvorgaben gebunden.“

 

Und ließen sich andere Dinge ändern wie beispielsweise die Reduzierung von Verpackungen?

„Wir führen Papiertüten im Obst- und Gemüsebereich des Supermarktes. So kann jeder Kunde selber über seine Mengen bestimmen. Was die Plastiktüten in Supermärkten anbetrifft, so bin auch ich versucht dagegen anzugehen. Ich bin einer Initiative bzw. einer Arbeitsgruppe der Landeshauptstadt Kiel beigetreten. Diese hat sich zur Aufgabe gemacht die Bürger auf den enormen Verbrauch von Plastik aufmerksam zu machen, der zum größten Teil vermeidbar wäre. Natürlich ist auch mir klar, dass ein Umdenken nicht von heute auf morgen passieren kann. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und die Plastiktüten an der Kasse gegen Papiertüten getauscht. Fast jeder zweite Kunde verlangte nach den Plastiktüten. Dennoch können auch wir hier im Supermarkt wahrnehmen, dass der Verkauf von Plastiktüten merklich in den letzten Jahren zurückgeht. Wir haben daher seit einiger Zeit Plastiktragetauschen im Sortiment, die wiederverwendbar sind. Sie werden sehr gut angenommen, das ist unser Versuch ein wenig gegen die Plastikverschwendung gegenanzugehen. Zum Ende des Jahres wird es auch Kühltragetaschen geben – mit Kühlakkus zum Austausch.“

 

Was würden sie sich für die Zukunft wünschen, damit ein Lebensmittelüberangebot vermieden wird und sich gleichzeitig ein besseres Bewusstsein für Lebensmittel bei Verbrauchern einstellt?

„Es sollte einmal die Gesetzgebung überdacht werden. Sprich das Überangebot an Märkten hier in Kiel spielt eine große Rolle bei der Lebensmittelverschwendung. Es gibt eine sehr große Konkurrenzsituation zwischen Selbständigen und Filialisten. Sie nehmen sich gegenseitig die Kunden weg und üben auch durch die Preispolitik einen großen Druck aufeinander aus. Was der Kunde bei uns vielleicht einmal nicht findet, findet er vielleicht beim Wettbewerber und das auch noch zu günstigeren Preisen. Lebensmittelketten können einfach eine ganz andere Preis- und Sortimentspolitik führen und so den kleineren Nahversorgern auf Dauer das Geschäft schwer machen, sogar so weit, dass diese gänzlich von der Bildfläche verschwinden.
Die Stadt und somit die Politik müsste mit der Wirtschaft mehr kooperieren, um Fehler im Vorfelde zu vermeiden. So können Theorie und Praxis eng miteinander verzahnt werden, um einen sinnvollen Meinungsaustausch zu erzielen. Baupläne müssen mehr überdacht werden. Natürlich können große Märkte neue und mehr Arbeitsplätze schaffen.  Auch die Kaufkraft ist eine ganz andere – nicht zu vergessen der beträchtliche Steuersatz, den die Stadt mit solchen Bauvorhaben einheimst.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist auch die globale Sichtweise zu betrachten. Die Weltmeere sind voll von Müll. Hier müsste die Presse vermehrt ansetzten und Aufklärungsarbeit leisten. Schon in der Schule sollten Kinder mehr über die Umwelt lernen. Wie gehe ich nachhaltig mit ihr um und welchen Beitrag kann ich ganz persönlich leisten, damit sie uns noch lange erhalten bleibt!“

 

Mindesthaltbarkeitsdatum: Es gilt zu unterscheiden zwischen den Bezeichnungen „Zu verwenden bis…“ und „ Mindestens haltbar bis…“. Bei Ersterem ist nach Ablauf dieses Datums weder der Verkauf an Kunden noch die Weitergabe an die Tafel möglich. Bei dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gibt es eine Garantie des Herstellers, dass bis zu diesem Datum ein Verzehr des Produktes bedenkenlos erfolgen kann. Nach der Überschreitung des MHD haftet der Hersteller somit nicht mehr. Jedoch bedeutet dies nicht, dass das Produkt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genießbar ist. Ganz im Gegenteil, meist ist das Produkt noch einige Tage oder Wochen länger haltbar, als das MHD verspricht. Somit sollte man stets selbst testen, ob das Lebensmittel noch ohne gesundheitliche Folgen gegessen werden kann.

 

Lest im nächsten Artikel: „Containern“ – was ist das, wer macht es und was bringt es?

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Autoren: Katharina Peters und Anna Gieseler