Täglich landen viele verwertbare Produkte in Mülltonnen und Containern, die von Supermärkten nicht mehr zum Verkauf angeboten werden können. Dies kommt einigen Jugendlichen, Studierenden und Bedürftigen gerade Recht, die zum einen nicht das Geld für frische Lebensmittel haben und/oder zum anderen ein Zeichen setzen und kein Teil des Systems der Wegwerfgesellschaft sein wollen. Sie gehen nachts auf Supermarkthinterhöfe und durchsuchen die Mülltonnen nach noch verzehrbaren Nahrungsmitteln. Fakt ist: Wer containert, der muss sich bewusst sein, dass er des Diebstahls (nach § 242 StGB) bzw. des Hausfriedensbruchs (nach § 123) polizeilich belangt werden kann. Ein Erfahrungsbericht soll zeigen, was es heißt zu „containern“ und welche Intentionen hinter dem „Lebensmittelretten“ eigentlich stecken. 

21:00 Uhr: Vorbesprechung unseres nächtlichen Vorhabens. Sinn und Zweck dieses Treffens ist, die Route noch einmal zu durchdenken und gleichzeitig zu überprüfen, ob an alles gedacht wurde. Sicher ist sicher! Einen Tag zuvor haben wir eine gemeinsame Liste angefertigt, auf der alle wichtigen Utensilien stehen: Rucksack, Kopf- und Taschenlampen, Handschuhe, Mülltüten und Desinfektionsspray.

Soweit haben wir alles gepackt.

Unser Container-Equipment.

Als ganz selbstverständlich erscheinen uns dabei dunkle und etwas ältere Kleidung sowie festes Schuhwerk. Wir möchten natürlich so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erzeugen bei unserem nächtlichen Streifzug durch die Hinterhöfe von Kiel. Was haben wir uns vorher nicht schon alles anhören müssen: „Wenn euch einer erwischt, dann gibt’s ne Anzeige! Das ist Diebstahl!“ oder „Ich würde das an eurer Stelle nicht tun – ihr holt euch dabei nur irgendwelche Krankheiten!“. Bedenken gibt es demnach zu Genüge. Neugierde aber auch! Und wie vielleicht nicht anders zu erwarten, ist sie sogar so groß, dass jeder gut gemeinte Ratschlag recht schnell an ernstgemeinte Bedeutung verliert. Ein Zurückrudern ist nicht mehr drin: heute Nacht wird containert!

22:00 Uhr: Wir machen uns auf in die Nacht. Die Kapuze ist tief in das Gesicht gezogen. Der Rucksack ist auf den Schultern und die Taschenlampe griffbereit. Auf geht es zum ersten Supermarkt um die Ecke. Um diese Uhrzeit haben die meisten Lebensmittelgeschäfte schon längst geschlossen. Es ist dunkel draußen. Die Straßen sind so gut wie leer, kaum jemand ist noch unterwegs. Nur vereinzelte Lichter in den Fenstern lassen vermuten, dass hier der Tag noch nicht vorbei ist.

Möglichst unauffällig machen wir uns auf den Weg.

Möglichst unauffällig machen wir uns auf den Weg zum ersten Supermarkt.

 22:15 Uhr: Wir nähern uns der ersten Hürde: Wie kommen wir auf das Gelände des Supermarktes? Denn was wir zuvor nicht bedacht haben: Ein großes Rollgatter versperrt uns den Weg zu den Containern. Wir überlegen hin und her, doch so recht fällt uns keine Idee ein, die unauffällig genug wäre, um die Hürde Tor zu bewältigen. Man könnte zwar, wenn man es ganz geschickt anstellt, oben drüber klettern oder sich unten durchrollen, aber so wirklich scheinen beide Varianten keine sonderlich ansprechende Alternative zu sein. Zum einen nieselt es bereits den ganzen Abend und zum anderen sind in der unmittelbaren Umgebung Wohnhäuser, die durch etwas Lärm schnell auf uns aufmerksam werden könnten. Also muss Plan B her. Gesagt getan! Wir erkunden das Supermarktgelände von allen Seiten. Dies bedeutet, sich dem Hinterhof samt Mülltonnen über ein Wohngebiet zu nähern. Doch auch hier erwartet uns vorerst eine Enttäuschung, da das gesamte Gelände mit einem etwa zwei Meter hohen Zaun versehen ist. Wie sollen wir nur zu unserem gewünschten Ziel, den Containern, kommen? Als wir schon recht kleinkriminelle Gedanken hegen – Zaun aufschneiden, durchsteigen und so einen Zugang zu den Tonnen erhalten – sind wir uns einig: das geht zu weit und verstößt nicht nur gegen unsere persönlichen Prinzipien, sondern auch gegen die des Containerns. Kein Vandalismus oder ähnliche Gewaltanwendungen! Verschlossene Tonnen oder Gatter sollen unversehrt bleiben. Sämtliche Container sollen so hinterlassen werden, wie sie vorgefunden wurden. Wir halten uns an das inoffizielle Regelwerk und möchten verstehen, was so viele Leute, insbesondere Studierende dazu bewegt, in Mülltonnen nach Lebensmitteln zu wühlen. Wir verstehen, dass man ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung setzen möchte. Zahlreiche Produkte sind zwar nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, jedoch immer noch genusstauglich. Trotzdem landen sie in den Tonnen vieler Hinterhöfe.

22:45 Uhr: Das Tor bleibt leider immer noch verschlossen und die Zäune viel zu hoch. Daher bleibt uns zunächst nichts anderes übrig, als aufzugeben. Ein wenig enttäuscht sind wir schon, so kurz vor dem Ziel. Die Container sind in Sichtweite, doch trotzdem für uns erst einmal unerreichbar. Doch was ist das, wir haben etwas übersehen: plötzlich entdecken wir ein großes Loch im Zaun. Wir haben Glück, der Eingang ist gefunden. Da aber auch auf dieser Seite des Geländes viele Wohnhäuser angrenzen, entschließen wir erst einmal zu einem anderen Supermarkt zu gehen, um dort unser Glück zu versuchen. Wir kommen zu späterer Stunde wieder.

23:15 Uhr: Wir beschließen einen zweiten Supermarkt aufzusuchen und machen uns auf den Weg. Hier ist es umso einfacher den Hinterhof mit den Mülltonnen zu erreichen. Weder ein Tor noch ein Zaun versperren uns hier den Weg. Trotzdem werden wir stutzig. Wir sehen ein kleines weißes Licht und hören nicht einzuordnende Geräusche. Halten sich hier noch Angestellte des Supermarktes auf? Sind wir zu früh? Wir trauen uns näher ran. Zu unserer Überraschung ist hier bereits jemand dabei, die Mülltonnen auf noch verwertbare Lebensmittel zu durchstöbern. Wir stoßen auf Tim – er containert. Ausgestattet mit einer Grubenlampe und dünnen Arbeitshandschuhen durchwühlt er die Mülltonnen. Nun haben wir auch die Erklärung für den weißen Lichtstrahl, der uns anfänglich verunsicherte. Tim ist im Gegensatz zu uns nicht überrascht, jemanden anzutreffen. Wir kommen mit ihm ins Gespräch und erfahren, dass viele Studenten nachts unterwegs sind und es ihm und auch uns gleich tun. Wir fragen nach der nächtlichen Ausbeute, ganz so als ob wir nicht zum ersten Mal containern. Während wir uns unterhalten, bemerken wir eine junge Frau, die auf uns zukommt. Schnell wird klar, dass sie Tim kennt, beide wohnen zusammen. Auch sie ist gespannt zu erfahren, was am heutigen Abend bis jetzt für ihn abgefallen ist. Tim erklärt, dass es kein besonders guter Tag sei: ein paar Bananen, Paprika, Zucchini und lose Äpfel. Heute hat er schon weitere Container von Märkten durchforscht und ist nun an seiner letzten Station angekommen. Er gibt uns noch ein paar nützliche Tipps. Zum Beispiel wie man ohne große Schwierigkeiten an unverschlossene Mülltonnen herankommt. Auch der Wochentag hat eine große Bedeutung in Bezug auf die Ausbeute. In der Woche ist es schwieriger auf essbare Lebensmittel zu stoßen, besser ist es am Wochenende, vor allem samstags. Vieles wird dann weggeworfen, da sonntags der Markt meist geschlossen ist und am Montag bereits die neue Ware geliefert wird. Freundlich bietet er uns was von seinen Lebensmitteln an, wir lehnen jedoch dankbar ab. Wir wollen ihm nicht seine Ware streitig machen. Währenddessen durchstöbert seine Bekannte den Müll und versucht ihr Glück. Tatsächlich findet sie noch Einiges, was wir jedoch schon längst wieder zurück in die Tonnen geworfen hätten.

23:30 Uhr: Mit neuen Tipps und Eindrücken machen wir uns auf den Rückweg zum ersten Supermarkt. Wir wollen nichts unversucht lassen – unsere Rucksäcke sind schließlich noch leer! Wieder stehen wir vor dem großen Loch am Zaun. Nun sind auch die letzten Lichter im Wohnblock hinter uns erloschen. Wir fühlen uns etwas sicherer im Schutze der Dunkelheit. Vorsichtig steigen wir durch das Loch und finden uns auf dem großen Parkplatz des Supermarktes wieder. Fest im Blick die Tonnen am anderen Ende der Parkfläche. Mit zügigen Schritten eilen wir über den Beton. Ein, zwei Mal schauen wir uns um – wir vergewissern uns, dass wir unentdeckt geblieben sind. Es scheint alles in Ordnung zu sein.

Vor uns stehen sie nun. Vier große schwarze Tonnen, Rand voll mit blauen Plastiktüten. Jeder weiß, was er zu tun hat. Die Grubenlampen sind aufgesetzt, die Handschuhe übergestülpt. Eine hält den sperrigen Tonnendeckel auf, die andere fängt an die Säcke nach und nach zu durchforsten. Dabei halten wir uns an den Tipp von Tim: keine Säcke werden herausgehoben, es wird lediglich umgeschichtet. So soll unnötiger Dreck um die Container herum vermieden werden.

23:40 Uhr: Ein Kopfsalat: unser erster Fund! Irgendwie sind wir glücklich. Ein komisches Gefühl, das uns sonst in der Obst- und Gemüseabteilung nicht überkommt. Es geht weiter. Trotz unangenehmen Gerüche und dem unschönen Gefühl manchmal nicht zu wissen, was man in den Tiefen der Tonne mit den Händen ertastet. Folgende Lebensmittel gelangen dennoch unversehrt und noch essbar in unsere Finger: frische Minze, Mangold, kleine Tomaten und ein paar lose Zwiebeln. Nicht schlecht für den Anfang!

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist es schon in fremden und oft unangenehm riechenden Mülltonnen zu wühlen.

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist es schon in fremden und oft unangenehm riechenden Mülltonnen zu wühlen.

Nach den ersten verwertbaren Lebensmitteln aber schleicht sich ein leichtes Gefühl des Erfolgs ein.

Nach den ersten verwertbaren Lebensmitteln aber schleicht sich ein leichtes Gefühl des Erfolgs ein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zwischendurch bleibt das mulmige Gefühl im Bauch, ob wir nicht doch erwischt werden. Immer wieder schrecken wir hoch und machen vorsichtshalber die Lampen aus. Einen kurzen Moment vergessen wir zu atmen. In Anbetracht dieser etwas übertriebenen Reaktion fangen wir leise an zu lachen. Den Spaß haben wir an der ganzen Aktion nicht verloren!

Fazit: Vielleicht werden wir es noch mal an einem Tag versuchen, der eine etwas bessere Ausbeute verspricht. Trotzdem sind wir mit unseren geretteten Lebensmitteln fürs Erste zufrieden. Es kann sich tatsächlich lohnen.

Eine Frage bleibt jedoch weiterhin unbeantwortet: Warum finden immer noch so viele verzehrbare Lebensmittel den Weg in die Tonne? Und ist Containern eine wirkliche Alternative, um diesem Problem entgegenzuwirken? Wir haben für uns beschlossen, dass jeder selbst eine Antwort auf diese Frage finden sollte.

Fakt ist: Das Entwenden von Lebensmitteln aus fremden Mülltonnen ist nach wie vor strafbar. Auch wenn nicht immer ein Strafantrag gestellt und die Tat geahndet wird, kann der „Müllfischer“ auf Diebstahl und Hausfriedensbruch angeklagt werden. Trotz dieser Rechtslage gibt es viele Webseiten, Beiträge und Foren, die das Containern thematisieren, Tipps für Unerfahrene bereitstellen und sogar zum Fischen nach Lebensmitteln im Müll ermutigen. Auf der Seite www.dumpstern.de z.B. finden sich viele Tipps und Informationen zum Containern und seine Folgen. (http://www.dumpstern.de/straftat-beim-containerndumpstern/).

Wir haben für uns entschlossen in der Obst- und Gemüseabteilung auch öfters Mal zu den nicht mehr ganz so perfekt aussehenden Lebensmitteln zu greifen. Denn das, was wir in die Hand nehmen, zurücklegen und nicht kaufen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kein anderer kaufen und landet damit im Müll. Somit liegt es auch in unseren Händen als Verbraucher, wie viel tatsächlich weggeworfen wird, was eigentlich noch genießbar ist. Wir entscheiden mit, ob ein Apfel mit kleiner Stelle, eine reifere Banane oder ein nicht mehr ganz so frischer Salat in der Tonne landet oder noch zügig verwertet wird. Natürlich zahlt man den gleichen Preis, wie für ein perfekt aussehendes Produkt. Jedoch haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass uns zum Teil auch Obst oder Gemüse an der Kasse gar nicht berechnet wurde, wenn es bereits  etwas mitgenommen aussieht. Das ist doch schöner, als es aus der Tonne zu fischen und zu wissen, damit die Verschwendung ein wenig verringern zu können.

Denn wenn jeder seinen Teil – und sei er noch so klein – dazu beiträgt, die Lebensmittelverschwendung zu minimieren, sind wir schon ein ganzes Stück weiter.

[Vielen Dank an Christopher H. für die mutige Unterstützung.]

Wie könnt ihr Kiel zu einem grüneren Daumen verhelfen? Eine Antwort auf diese Frage lautet: durch „Permakultur“! Erfahrt mehr darüber im nächsten Beitrag durch das Projekt “Grünkultur”.

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Autoren: Katharina Peters & Anna Gieseler