„Die Produkte, die wir einsammeln, sind für jeden, der sie gebrauchen kann. Vermehrt jedoch verschenken wir die Lebensmittel an jene, die weniger haben oder bedürftig sind“, erzählt Nadja Henze. Seit gut einem halben Jahr ist Nadja Botschafterin bei Foodsharing. Ihre Hauptaufgaben bestehen in der Organisation und Koordination der Abholung von Lebensmitteln aller Art in unterschiedlichen Betrieben, die nicht mehr verkauft werden können und somit entsorgt werden müssten.
„Anfangs kam es mir suspekt vor. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie es sein kann, dass so viele Lebensmittel einfach verschenkt werden. Später meldete ich mich dann aber in der entsprechenden Foodsharing Gruppe bei Facebook an, um mehr darüber zu erfahren“, so Nadja. Laut der Studie „Das große Wegschmeißen“ des WWF werden jährlich über 18 Mio. Tonnen Nahrungsmittel in Deutschland weggeworfen. Allein jeder Bundesbürger wirft im Jahr durchschnittlich 80 kg Lebensmittel in die Tonne. Von den 18 Mio. Tonnen wären bereits heute 10 Mio. vermeidbar. Dies zeigt unter anderem die Aktion des Foodsharing Vereins. Viele Betriebe, vor allem Supermärkte, Restaurants oder Catering Services, haben Produkte durch ein zu großes Angebot oder ablaufende Mindesthaltbarkeitsdaten übrig. Diese Lebensmittel würden alle in der Tonne landen, gäbe es nicht Vereine und Initiativen wie die Tafeln, Hunkelstide oder Foodsharing. Diese sammeln jegliche Lebensmittel auf eigene Kosten ein und verschenken oder verarbeiten die Produkte weiter.
So ist auch Foodsharing eine Plattform, die zu 100% auf ehrenamtlichem und unentgeltlichem Engagement basiert. Die Foodsaver organisieren sich eigenständig und holen mit privaten Autos bei verschiedenen Betrieben überschüssige, jedoch noch verzehrbare, Ware ab und verschenken diese zügig an Privatpersonen oder Obdachlosen- oder Asylheime weiter. Den Mitgliedern von Foodsharing ist es wichtig, dass auf der Plattform nichts angeboten wird, dass durchs Containern gewonnen wurde, da es hygienisch und gesundheitlich beeinträchtigt sein kann.
Im Verein gibt es eine klare Struktur. Wer sich bei Facebook anmeldet, ist offiziell Foodsharer, sobald er Lebensmittel tauscht oder verschenkt. Foodsaver werden diejenigen genannt, die sich darüber hinaus aktiv bei der Abholung der Lebensmittel von Betrieben beteiligen. Als Mitglied von Foodsharing ist es sehr wichtig, verlässlich und pünktlich zu sein, da sonst das Risiko besteht das Vertrauen und die Zusammenarbeit mit den Betrieben zu verlieren, wenn auf eine abgesprochene Abholung gewartet werden muss. Die Produkte werden meist kurz vor Ladenschluss abgeholt, somit ist ein gutes Timing Voraussetzung. Ebenso entscheidend ist die schnelle Weiterverteilung der Lebensmittel, da diese zum Teil eine geringe Haltbarkeitsdauer haben. Um Foodsaver werden zu können, muss daher ein Quiz absolviert werden, welches einige Informationen zum Verein und zu den Abholungen bereithält. Weiterhin sollte der angehende Foodsaver bei mindestens drei Abholungen mitgefahren sein, um anschließend auch eigenständig Betriebe anfahren zu können. Ein weiterer Schritt auf der Karriereleiter von Foodsharing ist, durch ein weiteres Quiz, die Ernennung zum Botschafter/zur Botschafterin. Nadja hat diesen Weg gewählt. Die Masterstudentin in Ökotrophologie ist neben Jessica Prill und Mareike Jokisch eine von drei Botschafterinnen in Kiel. Ihre Aufgaben schließen vor allem die Koordination und die Strukturierung der Lebensmittelabholungen und die Gewinnung neuer Betriebe für den Verein mit ein. Somit agieren Nadja und ihre beiden Kolleginnen nunmehr vor allem im Hintergrund. Dies bedeutet, dass das Handy keinen Tag ruht, denn ständig gilt es die Abholungen zu koordinieren und die Abläufe innerhalb Kiels zu regeln. „Zwischen 20 und 30 Betriebe werden auf 200 Foodsaver aufgeteilt, somit gilt es ca. 70 Abholungen pro Woche zu organisieren“, erläutert Nadja. Da ist es nicht verwunderlich, dass sie sieben Tage die Woche für Foodsharing erreichbar ist. Ehrenamtlich und ganz und gar unentgeltlich.
Foodsharing besteht seit etwa 2 ½ Jahren in Kiel. Den Grundstein jedoch legte Raphael Fellmer bereits 2011 mit seiner Aktion, zusammen mit der Bio Company Lebensmittel aus den Tonnen zu retten. Beinahe zeitgleich erschien der Film „Taste the Waste“ von Valentin von Thurn. So begann die erste Kooperation mit einem Lebensmittelbetrieb Anfang 2012, als Fellmer mit dem Geschäftsführer der Bio Company Georg Kaiser einen Lebensmittelrettungspakt schloss. Im Sommer desselben Jahres wurde er zusammen mit einem Freund auf die Crowdfunding-Kampagne von “foodsharing.de” aufmerksam und trat mit dessen Organisator Sebastian Engbrocks in Kontakt. Im Juni 2012 wurde Foodsharing gegründet, dessen Vorstandsvorsitzender seitdem Valentin von Thurn ist. Im Herbst 2012 gab es in Berlin und Hamburg bereits 100 Lebensmittelretter/innen, die von Fellmer koordiniert wurden und bei mehr als zehn Bio Company Filialen regelmäßig nicht mehr verkäufliche Waren abholten und weiter verschenkten. Ziel der Initiatoren ist es, eine ganzheitliche Kooperation mit allen Bio Company-Filialen zu realisieren, bei der keine noch genießbaren Lebensmittel im Müll landen. Am 12.12.2012 ging die Plattform “foodsharing.de” in Deutschland online und ermöglichte somit allen Haushalten und Betrieben das Teilen von überflüssigen Lebensmitteln. Innerhalb von drei Monaten meldeten sich bereits zehntausende Menschen an. Im Jahr 2014 waren über 60.000 Foodsharing-Nutzer/innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz angemeldet sowie rund 9.000 Foodsaver. Seitdem wächst der Bekanntheitsgrad von Foodsharing immer weiter. „Allein über Facebook erreichen uns täglich oft bis zu zehn neue Anfragen“, beschreibt Nadja begeistert. Facebook gilt als zentrale Kontaktaufnahmestelle, ebenfalls jedoch werden auch viele Interessierte über die Homepage, verschiedene Veranstaltungen oder Mund zu Mund Propaganda auf den Verein aufmerksam.
Für die Zukunft wünscht sich Nadja, mit Hilfe ihrer ehrenamtlichen Arbeit ein größeres Bewusstsein der Bevölkerung für die Entstehung und den Umgang von Lebensmitteln zu schaffen. Sie möchte davon überzeugen, dass jeder Einzelne seinen Beitrag leisten kann. Jedoch müssen – ihrer Ansicht nach – auch die Betriebe umdenken und eine leichte Erziehung der Verbraucher für eine Verschwendungsminimierung in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Der Verbraucher ist es gewohnt, auch spät abends noch frische Backwaren oder zu jeder Jahreszeit verschiedenes Obst und Gemüse kaufen zu können. Wenn das Sortiment wiederum minimiert und mehr Fokus auf die saisonalen Nahrungsmittel gelegt werden würde, könnte eine Bewusstseinsveränderung der Verbraucher verstärkt werden, glaubt Nadja.
Die junge aufgeschlossene Studierende leistet freiwillig ihren Beitrag, die Wegwerfgesellschaft zu reduzieren und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu stärken. Jeden Tag.
Wie aus Obst und Gemüse leckere Trockenfrüchte entstehen und wie damit ein Zeichen gegen die anhaltende Lebensmittelverschwendung gesetzt wird – Silke Kühl von „Hunkelstide“ verrät uns, wie sie das alles gleichzeitig schafft! …hier geht`s zum Interview.
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