Ein Ast schlägt ins Gesicht und das hohe Gras erschwert den Aufstieg. Dichter Baumbestand versperrt die Sicht. Dort drüben hinter der dunklen Tanne sieht man es: Vergessen und verwunschen liegt ein märchenhaftes Schloss im Wald. Fast niemand weiß davon und so verfällt es einfach und keiner kümmert sich mehr darum.
Raimund kennt diesen Ort. Nicht nur beruflich, sondern auch privat ermittelt er. Entweder als Polizist oder als Hobbyfotograf. In seiner Freizeit fotografiert er sogenannte „Lost Places“.

FHEWS: Raimund, was reizt dich besonders an deinem außergewöhnlichen Hobby?

Das Gesamte. Es fängt ja schon beim Ermitteln an. Lost Places sind absolut geheim. Ein Platz, der nicht geheim gehalten wird, ist auch in kürzester Zeit ruiniert. Hat man ihn dann gefunden, muss man meistens morgens sehr früh los und darauf achten, dass einen keiner sieht, wenn man reingeht. Und dann reizt mich besonders die Erwartung auf das, was da drin ist. Den Nervenkitzel und den Kick braucht wohl eher die junge Szene, vermute ich.
Welche Plätze hast du schon erkundigt und in welchen Ländern suchst du nach verlassenen Orten?
Man glaubt es nicht! Es liegen riesengroße Schlösser verlassen mitten im Wald. Wie bei Rapunzel. Aber ich habe ja eigentlich schon so ziemlich alles erkundet. Vom kleinen Bauernhof, großer Fabrikhalle, Kirche, bis hin zum Schwimmbad war alles dabei. Meine Hauptsuchgebiete sind Italien, Frankreich, Polen und Deutschland. Belgien ist das Urban Explorer Paradies. Jedes fünfte Haus ist da ungefähr verlassen. Mein Lieblingsort war übrigens das Castle Sammezzano in Italien. Das ist ein Schloss voller Prunk. Die gesamte Inneneinrichtung hat mich dort sehr beeindruckt. Stuck an den Decken und die tollsten Farben an den Wänden. Es ist der Heilige Gral der Urbex Fotografie. Da möchte gern jeder hin, aber nicht alle schaffen es.

FHEWS: Das ist ja verrückt!

Ja, es ist alles verrückt. Man kommt zum Teil in Gebäude rein und da stehen noch Werte rum, wo man sich denkt, mein Gott da sind 20 000 Euro bestimmt an Möbeln und Bildern drin. Wunderschöne Sachen und das versteht man eben nicht, warum das nicht rausgeholt wurde. Ich persönlich würde aber niemals etwas dort mitgehen lassen. Es ist nämlich ein Codex unter den Urbexern, das man nichts mitnimmt und nie gewaltsam eindringt. Unser Motto: Hinterlasse nur Fußabdrücke! Hausfriedensbruch ist außerdem ja auch ein absolutes Antragsdelikt. Die Polizei wird nur aktiv, wenn der Eigentümer einen Antrag bei der Polizei stellt, dass man bestraft werden soll. Und da die meisten Gebäude ja gar keinen Eigentümer mehr haben, erledigt sich die Sache von selbst.

FHEWS: Sollte man zu den verlassenen Gebäuden  alleine fahren?

Nein, ich mache das immer mit meiner Freundin zusammen. Oft sind es auch ältere Plätze und da kann einem auch schon mal etwas passieren. Man nimmt natürlich ein Handy mit, aber oftmals sind die Plätze dann so abgelegen, dass man im Notfall keinen Empfang hat. Stell dir mal vor, man bricht da ein und hat keinen Handyempfang. Wir hatten sogar einmal den Fall, dass wir grade einen Raum fotografiert hatten und weiter gegangen waren, als man plötzlich hörte, wie dort wieder etwas von der Decke runter gefallen ist. Da hatten wir Glück. Alleine ist das nicht so einfach und es bringt eben alles mehr Spaß, wenn man es teilt. Manchmal frühstücken wir auch in den Gebäuden. Dann nehmen wir Brötchen und Kaffee mit und lassen alles auf uns wirken. Wir richten auch komplett unseren Urlaub nach den Lost Places aus. Wir fahren nach Paris, aber den Eifelturm gesehen, haben wir nicht. Stattdessen sind wir einmal um die Stadt herum gefahren und waren in allen möglichen verlassenen Gebäuden. Uns gefällt das.

FHEWS: Wurdet ihr bei solchen Aktionen auch mal erwischt?

Sogar letztes Wochenende wurden wir erwischt. Wir waren gerade mal fünf Minuten in einem Palazzo drinnen und dann stand schon ein Polizeiwagen vor der Tür. Wir geben uns dann auch sofort zu erkennen. Einfach freundlich bleiben. Die sehen ja schon, dass wir Fotoequipment dabeihaben und dass wir nur Bilder wollen. Es wurden deshalb nur kurz unsere Namen aufgeschrieben und dann mussten wir rausgehen. Das andere Mal hat uns eine private Person erwischt. Da war der Platz wohl doch nicht so ganz lost. Also es war lost, aber es gehörte wohl noch jemanden. Wir haben uns dann entschuldigt. Plötzlich meinte er, wenn wir ihm 20 Euro geben, dann können wir weiter fotografieren. Ich hab dann auch kein Problem damit den Leuten Geld zu geben, wenn sie das für den Erhalt des Platzes nehmen.

FHEWS: Was bist du eigentlich von Beruf?

Polizeibeamter (lacht). Bei der Schutzpolizei. Streife, Büro, Ermittler.
Aber keine Sorge, meine Kollegen wissen von meinem Hobby. Sogar mein Chef weiß grob Bescheid. Ich veröffentliche meine Fotos auch auf Facebook und da kann jeder drauf klicken- auch mein Chef. Es ist eine leichte Grauzone, aber ich hab noch nie eine Anzeige bekommen und ich kenne auch keinen, der jemals eine bekommen hat. Somit muss ich auch keine Angst haben, Ärger im Job zu bekommen. Mein Beruf ist mir halt wichtig und das Urbexen ist nur ein Hobby.

FHEWS: Wie vereinst du es dann einerseits das Gesetz zu hüten und andererseits es zu brechen?

Das ist für mich kein Konflikt, da ich ja nicht gegen das Gesetz verstoße. Nur wenn der Besitzer eine Anzeige erstatten würde, aber solch ein Fall ist mir nicht bekannt. Es sind ja eigentlich Lost Places, also verlassene Plätze- es gibt keine Besitzer. Es ist was Aufgegebenes und ich finde die Schönheit dieser Häuser zu erhalten toll, auch wenn es nur mit Fotos ist.